Sagen Sie mal, Markus Heitkamp: Was ist eigentlich ein Kaiju?

Wikipedia sagt dazu: Kaijū (wörtlich: „seltsame Bestie, rätselhafte Bestie“) ist ein japanischer Begriff, der sich auf fremdartige Kreaturen, besonders Riesenmonster bezieht, wie sie in japanischen Fantasiefilmen dargestellt werden. Das entsprechende Filmgenre wird Kaijū Eiga (Monsterfilm, Kaiju-Film) genannt. Kaiju ist aber eigentlich sehr viel mehr. Ein Freund von mir hat den Begriff „Kaijuholic“ geprägt. Wer wie ich Ende der 1960-er , Anfang der 1970-er Jahre aufgewachsen ist, kennt eventuell noch die kleinen Vorstadtkinos. Heute sind diese fast vollständig der Konkurrenz der großen Multiplexe oder dem Angebot unzähliger Streamingdienste unterlegen und von der Bildfläche verschwunden. In diesen kleinen Filmvorführstätten gab es meist sonntags eine sogenannte Jugendvorstellung. 15 Uhr, 3 Mark. So auch in der Lichtburg in Datteln am Rande des Ruhrgebietes. Ich weiß nicht, ob es überall so war, aber dort spielten sie bevorzugt japanische Gummimonster-, Tierhorror– oder Fantasiefilme und die Namen Honda, Fukuda, Harryhausen und Arnold waren meine ständigen Wegbegleiter. Die in liebevoll gebauten Stadtkulissen herum stapfenden Menschen in Monsterkostümen (Suitmotion) oder die sich mit der Armee herumschlagenden und mit der Stop-Motion Technik animierten Riesentiere prägten mich so nachhaltig, dass ich die für sie empfundene Begeisterung bis heute nicht abgelegt habe.

Ein Kaiju bietet die Möglichkeit, auch für aktuelle Umwelt- oder Gesellschaftsprobleme als Stellvertreter zu fungieren.

Markus Heitkamp

Ich könnte jetzt stundenlang darüber schreiben, wie sich die Filmtechniken geändert haben, wie die Kaiju internationalisiert wurden, ob die alten Filme besser oder die neuen Filme des amerikanischen Monsterverse schlechter oder umgekehrt sind. Warum die aus den 1990er Jahren stammende „Gamera Trilogie“ die beste filmische Darstellung eines Kaiju ist (kleiner Tipp). Und warum ich nach meinem ersten Godzilla-Film in dem kleinen Vorstadtkino in Datteln im April 1975 eine Woche lang stinksauer war. (Kurz: Der Film hieß „Godzillas Todespranke“, aber tatsächlich handelte es sich um das südkoreanische Monster Yonggari.) Ich könnte …

… aber auch einfach Geschichten und Bücher über Kaiju schreiben. Was ich auch getan habe. Nicht allein, sondern mit Hilfe eines freundlichen Verlegers – Marc Hamacher vom Leseratten-Verlag – und einiger großartigen Kolleg*innen.

Dafür gibt/gab es drei Gründe:

  1. Ein Kaiju ist nicht einfach nur ein „großes“ Monster, sondern im grundlegenden, ursprünglichen Gedanken immer die Manifestation einer Angst, einer Bürde oder eines Konflikts. Der Ur-Godzilla von 1954 entsprang der realen Angst der Japaner im Nachgang an die Atombombenabwürfe im 2. Weltkrieg und die in den 50’er Jahren durchgeführten Atombombentests. Ein Kaiju bietet also die Möglichkeit auch für aktuelle Umwelt- oder Gesellschaftsprobleme als Stellvertreter zu fungieren. Als Autor und Herausgeber fühle ich mich ein Stück weit verpflichtet auf solche aktuellen Brennpunkte hinzuweisen. Diese Thematik wurde in der Anthologie „German Kaiju“, erschienen im Leseratten-Verlag, von allen beteiligten Autor*innen aufgegriffen und auf sehr individuelle Art in Form explizit für die jeweilige Story entworfener Kaiju umgesetzt.
  2. Es gibt weltweit nur sehr wenig Literatur zum Thema Kaiju und wenn doch, so ist es meist Fachliteratur. Romane, Geschichten gibt es nur sehr wenige und wenn, dann sind sie bis auf wenige Ausnahmen eher dem Genre Tierhorror oder Prähistorische Wiederbelebungen, als dem Thema Kaiju zuzuordnen. In Deutschland gab es bis zum Jahre 2019 nichts Literarisches zum Thema Kaiju, außer einiger ganz hervorragender Fachbücher. Tief in meinem Inneren fragte ich mich einmal, ob nicht eventuell die Drachen auch zu einem Teil Kaiju sind und wenn man so weit ist, dann ist man auch schnell dabei, die Nibelungen-Saga als erstes Werk der deutschsprachigen Kaiju-Literatur zu betrachten. Ich hoffe, man versteht mein Dilemma. Nun gibt es aber im deutschsprachigen Raum sehr viel Kaiju-Fans. Und nicht wenige davon sind eben auch der Literatur angetan. Also war es naheliegend, Tokio oder New York durch Hamburg und Berlin zu ersetzen und von marodierenden Kaiju in Schutt und Asche legen zu lassen.
  3. Ich bin Autor aus Überzeugung und ich möchte schöne Bücher machen. Natürlich sind mir Inhalte wichtig, aber ich bin realistisch genug zu sagen, dass das Thema Kaiju nichtsdestotrotz eine Nische ist und man mit dieser Art der Literatur zum Teil reinen Fan-Support bietet. Um aber interessierte Leser mit dem Thema Kaiju in Berührung zu bringen wollte ich über den Inhalt hinaus Bücher schaffen, die nicht nur inhaltlich gute Geschichten, sondern äußerlich schön sind und zum Lesen oder in den Schrank stellen anregen. Das ist uns mit der Anthologie (Farbschnitt, französische Broschur, mehrseitige Illustrationen) und auch der Novelle „Operation M.E.L.B.A.“ aus meiner Feder augenscheinlich gelungen.

Die Idee, Kaiju nach Deutschland zu bringen, nahm 2019 ihren Anfang. Das wurde 2022 mit einer Novelle fortgeführt und momentan sieht es gut dafür aus, dass wir – also der Leseratten Verlag von Marc Hamacher und ich – auch in den nächsten Jahren mit weiteren Anthologien und Romanen dazu beitragen können, die großen Monster in schönen Büchern noch ein wenig bekannter zu machen.

Markus Heitkamp, Jahrgang 1969, ist Autor und Herausgeber. Er studierte Wirtschaftsinformatik, lebt im Alten Land in Niedersachsen. Die erste Kurzgeschichte erschien 2012, seine erste Anthologie als Herausgeber 2018. Bisland sind 20 Kurzgeschichten und drei Antholien erschienen, der erste Roman wurde 2022 veröffentlich. Heitkamp ist Mitglied im Phantastik Autoren Netzwerk PAN und seit 2019 in dessen Vorstand. 2020 war er erstmals Mitglied der Jury des Phantastik-Literaturpreis Seraph. Im Leseratten-Verlag sind „German Kaiju“ und zuletzt „Operation M.E.L.B.A.“ erschienen.

"German Kaiju", Anthologie, Herausgeber: Markus Heitkamp, im Leseratten-Verlag